Der von Berlin rücksichtslos über Athen verhängte Austeritätszwang führt machtpolitisch zu ersten Rückschlägen und schwächt die deutsche Hegemonie über die EU. Dies zeigt exemplarisch der Einstieg der China Ocean Shipping Company (COSCO) bei der Betreibergesellschaft des Hafens von Piräus, den Athen auf Druck aus Berlin und Brüssel veräußern musste.
COSCO baut den Hafen, an dem es bereits seit 2009 einen kleinen Anteil hält, mit dreistelligen Millionensummen aus; mittlerweile ist er zum achtgrößten Hafen Europas aufgestiegen und befindet sich unter den Top 40 weltweit. Das wirtschaftlich durch die Kürzungsdiktate völlig ruinierte Griechenland hofft auf weitere chinesische Investitionen – und ist inzwischen nicht mehr bereit, die bislang übliche offizielle Verurteilung Chinas durch die EU beim UN-Menschenrechtsrat mitzutragen. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich in Serbien ab; dort plant China im Sinne seiner „Seidenstraßen“-Initiative einen Ausbau der Schienenstrecke aus Belgrad nach Budapest, wovon sich die serbische Regierung langfristigen Aufschwung erhofft. Brüssel hat jetzt Ermittlungen gegen das Ausbauprojekt eingeleitet. Experten urteilen, eine nur auf Austeritätsdiktate und offenen Druck setzende Politik, wie Berlin und die EU sie betreiben, könne „in einer multipolaren Welt“ nicht mehr zum Erfolg führen.
China investiert
Wie der Berliner Austeritätszwang inzwischen zu ersten machtpolitischen Rückschlägen führt, lässt sich exemplarisch am Beispiel des Hafens von Piräus bei Athen nachvollziehen. Der Hafen zählt zu den Liegenschaften, die die griechische Regierung auf Druck Deutschlands und der EU zur Schuldentilgung veräußern musste, obwohl es bis zuletzt massive öffentliche Proteste dagegen gab. Den Zuschlag hat im April vergangenen Jahres die China Ocean Shipping Company (COSCO) erhalten, die für 51 Prozent des Hafenbetreibers 280,5 Millionen Euro zahlte und im Jahr 2021 weitere 16 Prozent für 88 Millionen Euro übernehmen darf – sofern sie bis dahin mindestens 300 Millionen Euro in den Hafen investiert. Alles sieht danach aus; nach aktuellen Plänen wird COSCO sogar 600 Millionen Euro investieren. Das chinesische Unternehmen war zuletzt der einzige Bieter für den Hafen von Piräus gewesen: Mit Blick auf den Totalkollaps der griechischen Wirtschaft in der Krise hatte niemand Investitionen in einen griechischen Handelsplatz erwogen; insbesondere deutsche Unternehmen hatten sich auf relativ krisenfeste Branchen wie Billigdiscounter verlegt [1] und ansonsten auf eine Branche besetzt, die auch in verarmten Ländern noch Gewinne abwirft – auf Tourismus (german-foreign-policy.com berichtete [2]).
Zielhafen der „Seidenstraße“
COSCO hingegen hat große Pläne mit dem Hafen von Piräus. Er ist als Endpunkt der Seeroute der „Neuen Seidenstraße“ vorgesehen, eines Bündels von Transportkorridoren, die über Land und Meer China mit Europa verbinden sollen. Das Gesamtprojekt trägt den offiziellen Namen „One Belt, One Road“ („Ein Gürtel, eine Straße“); Piräus ist als Endpunkt der Seeroute besonders geeignet, weil es unter den europäischen Häfen dem Suezkanal, durch den Waren aus China nach Europa geliefert werden, am nächsten liegt. Bereits im Jahr 2009 hat COSCO erste Konzessionen in Piräus erhalten und mit dem Ausbau des Hafens begonnen – mit Erfolg: Während die deutschen Kürzungsdiktate die griechische Wirtschaft umfassend strangulierten, investierte der chinesische Konzern 600 Millionen Euro, engagierte 1.000 neue Arbeiter – und steigerte das Volumen der umgeschlagenen Waren von 880.000 TEU im Jahr 2010 auf 3,47 Millionen TEU im Jahr 2016.[3] Piräus war damit der am schnellsten wachsende Hafen weltweit; nach Angaben der International Association of Ports and Harbors liegt er inzwischen auf Platz acht unter den Häfen Europas und auf Platz 39 unter den Häfen der Welt. COSCO will ihn nach der Mehrheitsübernahme weiter stärken; im nächsten Schritt ist der Bau eines riesigen Schwimmdocks geplant, das Piräus Reparaturaufträge sichern soll.
Der „Spaltpilz“
Chinas rasch wachsender Wirtschaftseinfluss lässt Athen mittlerweile Rücksichten auf politische Interessen der Volksrepublik nehmen. Zum ersten Mal deutlich wurde dies im Juni, als die EU wie schon so oft beim UN-Menschenrechtsrat eine gegen Beijing gerichtete Stellungnahme einbringen wollte. Dies scheiterte – nicht nur, aber auch am Widerstand Griechenlands: „Unproduktive und oftmals selektive Kritik gegenüber bestimmten Ländern erleichtert die Förderung der Menschenrechtslage in diesen Staaten nicht“, wird die Begründung eines griechischen Diplomaten zitiert.[4] Die EU konnte sich erstmals nicht auf einen gemeinsamen Text einigen. Deutsche Politiker wandten sich scharf gegen Athen; dessen souveräne Einschätzung sei „fadenscheinig und oberflächlich“, wird der deutsche Europaabgeordnete Jo Leinen (SPD) zitiert. Mit heftigem Druck auf Athen ist zu rechnen; deutsche Medien wettern bereits über einen „chinesischen Spaltpilz“.[5]
Hoffnung auf Aufschwung
Dabei gewinnt China mittlerweile auch in weiteren Staaten Südosteuropas neuen Einfluss. Ein Beispiel bietet Serbien. Das Land leidet unter krasser Armut: Das Durchschnittseinkommen liegt bei rund 350 Euro; die Arbeitslosigkeit wird auf 18 Prozent der Erwerbsbevölkerung beziffert, die Jugendarbeitslosigkeit auf 44 Prozent.[6] Deutsche Unternehmen ziehen attraktive Gewinne aus ihren Geschäften in ausgewählten Branchen [7]; an einer weitergehenden Entwicklung Serbiens, das 1999 schwere Zerstörungen durch NATO-Bomber erlitt, hat Berlin aber kein Interesse. China plant nun den Ausbau der Schienenstrecke von Belgrad nach Budapest; sie soll auch mit Hochgeschwindigkeitszügen befahren werden können, die für die gut 350 Kilometer lange Route nicht mehr acht, sondern nur noch drei Stunden benötigen. Der Plan ist Teil des Vorhabens, einen Verkehrskorridor aus Griechenland ins Zentrum Europas auszubauen, um die in Piräus entladenen Waren zu ihren Kunden weitertransportieren zu können. Für Belgrad bietet dies neue Chancen – nicht nur im Rahmen der Baumaßnahmen, sondern wegen der eventuell dauerhaften Aufwertung des durch Serbien verlaufenden Verkehrskorridors.[8] Entsprechend groß ist das Interesse der serbischen Regierung an dem Milliardenprojekt.
Schwächelndes Gravitationszentrum
EU-Think-Tanks warnen. Projekte wie der Ausbau der Schienenstrecke Belgrad-Budapest sollten die Aufmerksamkeit „nicht nur auf Chinas wachsende ökonomische Präsenz auf dem europäischen Kontinent“ richten, sondern auch auf „die anscheinend abnehmende Fähigkeit der EU, als politisch-ökonomisches Gravitationszentrum zu handeln“; dies beziehe sich auch „auf Länder in ihrer unmittelbaren Peripherie“, hieß es bereits Ende 2016 in einer Stellungnahme aus dem European Council on Foreign Relations (ECFR).[9] Kürzlich hat der ECFR ergänzend darauf verwiesen, dass laut Berechnungen der EU-Kommission die außenpolitischen Positionen der serbischen Regierung nicht mehr, wie noch vor kurzem, zu 89 Prozent, sondern nur noch zu 59 Prozent mit denjenigen der EU übereinstimmten; das liege zwar nicht nur, aber eben auch an Chinas zunehmender Präsenz.[10] Brüssel müsse Gegenmaßnahmen ergreifen.
Ermittlungen
Tatsächlich hat die EU inzwischen damit begonnen. Wie bereits im Februar bekannt wurde, hat sie Ermittlungen eingeleitet – wegen des Verdachts, der Ausbau der Bahnstrecke Belgrad-Budapest geschehe womöglich nicht in Übereinstimmung mit den einschlägigen EU-Regularien.[11] Kommt es in Brüssel zu einer entsprechenden Entscheidung, dann stehen Maßnahmen gegen das Vorhaben bevor; selbst ein Scheitern des Projekts ist nicht auszuschließen. Chinas Einfluss wäre geschwächt; Serbien aber stünde erneut mit leeren Händen da.
Die Folgen der Strangulierung
Ein hellsichtiges Urteil über die deutsch-europäische Südosteuropapolitik hat kürzlich der Ökonom John A. Mathews gefällt, der eine Weile an der Libera Università Internazionale degli Studi Sociali Guido Carli in Rom lehrte und gegenwärtig an der Macquarie Graduate School of Management an der Macquarie University in Australien tätig ist. Wären die Deutschen „nicht so hartnäckig“ dabei gewesen, mit ihrem Austeritätszwang „die griechische Wirtschaft zu strangulieren“, dann wäre die griechische Regierung kaum „so begierig gewesen, die Chinesen als neue Eigner in ihrem Hafen willkommen zu heißen“, konstatiert Mathews.[12] Die Berliner Strategie sei „bei ihrem engen Ziel, Griechenland als unterwürfigen Partner in der Eurozone zu halten, erfolgreich gewesen – aber um den Preis, dass China einen Brückenkopf in Europas Transportnetzwerken errichten konnte, der langfristig von höchster strategischer Bedeutung“ sei. Die „Episode“ zeige, erläutert Mathews, dass „eine Strategie, die darin besteht, einem einzelnen Land eine ideologisch motivierte Austerität aufzuzwingen“, in „einer multipolaren Welt an ihre Grenzen stößt“. Bislang deutet allerdings nichts darauf hin, dass das Berliner Establishment diese Erkenntnis teilt.
[1] S. dazu http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59637„>Wer hat, dem wird gegeben.
[2] S. dazu Die letzte Boombranche.
[3] Akihiro Sano: China’s Greek investment is making waves in the Aegean. asia.nikkei.com 16.03.2017.
[4], [5] T. Kirchner, S. Schoepp: Chinesischer Spaltpilz. www.sueddeutsche.de 19.07.2017.
[6] Ralf Borchard: Tausende demonstrieren nach Präsidentenwahl in Serbien. www.deutschlandfunk.de 06.04.2017.
[7] S. dazu Die Achse Berlin-Belgrad-Moskau.
[8] James Kynge, Arthur Beesley, Andrew Byrne: EU sets collision course with China over ‘Silk Road’ rail project. www.ft.com 20.02.2017.
[9] Agatha Kratz, Dragan Pavlićević: Belgrade-Budapest via Beijing: A case study of Chinese investment in Europe. www.ecfr.eu 21.11.2016.
[10] Michal Makocki: China in the Balkans: The battle of principles. www.ecfr.eu 06.07.2017.
[11] James Kynge, Arthur Beesley, Andrew Byrne: EU sets collision course with China over ‘Silk Road’ rail project. www.ft.com 20.02.2017.
[12] John A. Mathews: China’s Takeover of the Port of Piraeus in Greece: Blowback for Europe. In: The Asia-Pacific Journal. Japan Focus. Volume 15, Issue 13, Number 3. 01.07.2017.
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59640