Ή στραβός είναι ο γιαλός ή στραβά αρμενίζουμε
23.04.2024
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    Griechenland – neun Monate vor der Rückkehr zur Souveränitat (Teil I)


    Niels Kadritzke

    Es ist das erklärte Ziel der Athener Regierung, bis zum August 2018 die Ära der „Memoranden“ zu beenden, die Griechenland der Aufsicht durch die Institutionen seiner Gläubiger unterworfen haben. Damit das Land seine Souveränität tatsächlich zurück gewinnen kann, bedarf es allerdings eines wirtschaftlichen Aufschwungs. Der wird jedoch nur tragfähig sein, wenn sich die politische Klasse und die Gesellschaft auf tiefgreifende Reformen verständigen. Und wenn die europäischen Rahmenbedingungen stimmen

    In keinem europäischen Land – außer Frankreich – hat das Wahlergebnis in Deutschland mehr Unruhe ausgelöst als in Griechenland. Die Athener Börse gab seit dem Wahlsonntag binnen drei Tagen um 4,82 Prozent nach. Noch steiler stürzten die Banktitel ab: um fast 12 Prozent, weil vor allem internationale Anleger wie Morgan Stanley und Citigroup nervös wurden. Ein Auslöser war das Gerücht, die EZB könnte – im Gefolge des IWF – einen vorzeitigen Stresstest für die griechischen Finanzhäuser fordern, deren Bilanzen durch einen hohen Bestand von NPL (non-performing loans oder faule Kredite) belastet sind.

    Hauptgrund für die Mini-Panik waren jedoch die Meldungen aus Berlin. Die Aussichten auf eine Koalition mit Beteiligung der FDP – und womöglich auf einen Finanzminister Lindner – beschäftigt die Athener Börse und die politische Klasse in dreifacher Hinsicht. Erstens will die Regierung Tsipras spätestens Ende des Jahres die dritte (und vorletzte) Etappe der Evaluierung des griechischen Sparprogramms bewältigt haben. Doch das könnte sich jetzt verzögern. Die Einschätzung aus Berlin, die Verhandlungen über eine neue Koalition dürften sich mindestens bis Weihnachten hinziehen, ist aus Sicht von Athen ein sehr böses Omen. Beobachter halten einen Abschluss des fälligen Bewertungsprozesses durch die EU-Institutionen (Kommission und EZB) und den IWF ohne das Plazet einer neuen Bundesregierung für „sehr schwierig“.

    Drei große und etliche kleine Sorgen

    Die Sorge um eine Verzögerung der dritten Evaluierung ist die eine Sache. Weit schwerer wiegen die Befürchtungen, die den erstrebten Abschluss des Programms (Memorandums) im August 2018 und die Zeit danach betreffen. Nach einer Analyse von Vassilis Nedos in der Kathimerini vom 26. September betreffen diese Befürchtungen vor allem drei Bereiche:

    – die Frage einer Schuldenentlastung für Griechenland,
    – die künftigen Beziehungen zwischen der EU und der Türkei,
    – die langfristigen Perspektiven der Europäischen Union und der Eurozone.

    1. Beim Thema Schuldenentlastung sieht man in Athen die akute Gefahr, dass entsprechende Verhandlungen mit den Institutionen, die für das erste Halbjahr 2018 verbindlich zugesagt wurden, von der neuen Berliner Regierung „ad calendas graecas“ verschleppt oder ganz abgesagt werden.(1) Grund für diese Befürchtung ist die FDP und ihr Vorsitzenden Lindner, der im Wahlkampf mehrfach das Thema eines „Grexit auf Zeit“ wieder aufgewärmt hat. Schon im Vorfeld der Wahlen hatte ein Europa-Abgeordneter der Syriza prophezeit, eine Regierungsbeteiligung der FDP „könnte dazu führen, dass wir Schäuble noch einmal vermissen werden“.(2)

    2. Was das Problem Türkei betrifft, so befürchtet die Regierung Tsipras eine Belastung der griechisch-türkischen Beziehungen, falls die Spannungen zwischen der EU und Ankara weiter eskalieren. Bei einer solchen Entwicklung könnte sich auch in der Flüchtlingsfrage der Druck auf Griechenland „um ein Vielfaches erhöhen“. Athen will deshalb unbedingt vermeiden, dass „die Nervosität am anderen Ufer der Ägäis“, die noch zusätzlich durch die Zuspitzung der „Kurdenfrage“ genährt wird, sich auch gegen Griechenland artikuliert.

    3. Auf europäischer Ebene schafft das deutsche Wahlergebnis ein großes Problem für den französischen Präsidenten Macron, der von der Athener Regierung als wichtigster Bündnispartner innerhalb der EU gesehen und behandelt wird. Deshalb könne die „Entwertung“ eines weiteren französischen Präsidenten durch Berlin (nach der Entwertung von Hollande) für Griechenland nichts Gutes bedeuten. Zumal man in Athen die Pläne einer relativen „Vertiefung“ der Union unterstützt, die Macron am 6. September in Athen mit Blick auf die Akropolis publikumswirksam vorgetragen hat.(3)

    Nimmt man diese drei Problembereiche zusammen, wird deutlich, wie viel für Griechenland auf dem Spiel steht. Das gilt speziell für die Regierung Tsipras, für die es eine Überlebensfrage ist, den Ausweg aus der Krise und aus den Sparprogrammen zu finden und wie geplant im August 2018 zu vollziehen. Ob ihr das gelingt, hängt entscheidend von der wirtschaftlichen Entwicklung ab.

    Tsipras‘ Messebotschaft: Invest in Greece

    Die Internationale Messe von Thessaloniki (DETh) findet alljährlich im September statt. Sie bietet den griechischen Politikern seit jeher ein Podium für die Vorstellung ihrer wirtschaftspolitischen Konzepte. Das gilt besonders für den jeweiligen Regierungschef, der die Messe mit einer programmatischen Rede zu eröffnen hat.

    Was Alexis Tsipras am 11. September verkündete, war ein dosierter wirtschaftspolitischer Optimismus ohne jene auftrumpfenden Töne, mit denen er in den letzten Monaten seine Glaubwürdigkeit beim griechischen Publikum strapaziert hatte (siehe den Text auf diesem Blog vom 29. Juni 2017). Der Regierungschef erklärte, sein Land sei nach sieben Jahren Rezession dabei, „eine neue Seite aufzuschlagen“. Die Erholung der Konjunktur zeige, dass man die Gefahr des Ausscheidens aus der Eurozone gebannt habe. Nachdem das Gespenst des „Grexit“ verscheucht sei, könne seine Regierung endlich die langfristige Wachstumsperspektive vorantreiben.

    Und dann erzählte Tsipras eine Anekdote, die ihm Mut für die griechische Zukunft mache. Zwei Tage zuvor habe er auf dem Athener Flughafen seinen Freund Emmanuel Macron verabschiedet, da habe ihn einer der Unternehmer aus der Entourage des französischen Präsidenten angesprochen. „Heute haben Sie etwas sehr Wichtiges erreicht“, sagte der Kapitalist aus Paris zum Athener Regierungschef: „Sie haben es geschafft, im Bewusstsein der Franzosen – und ich glaube auch aller Europäer -, den Schlüsselbegriff, den man in den letzten Jahren mit Griechenland verbunden hat, durch einen anderen zu ersetzen: nämlich das Wort Grexit durch „Grinvest.“

    Tsipras hat diese neue Wortschöpfung dankbar aufgegriffen. Statt „Greece“ mit einem „exit“ aus der Eurozone zu verbinden, sei Griechenland hinfort mit „investment“ zu assoziieren, erläuterte er seinem Auditorium. Und blätterte sogleich eine Liste von Investoren auf, die sich für Griechenland interessieren – aus Frankreich und Italien, aus den USA und Russland, und natürlich aus China, dem Land, das dieses Jahr als “Ehrengast“ der Thessaloniki-Messe auftreten darf. Für Tsipras sind all diese Interessenten ein Beweis dafür, dass sein Land „auf dem Wege ist, wieder zum strategischen Partner der wichtigsten Wirtschaftsmächte der Erde zu werden.“ Dabei verwies er auf den Zufluss von 1,4 Milliarden an ausländischen Direktinvestitionen oder FDI (Foreign Direct Investment) im ersten Drittel des Jahres 2017, was einen Rekord für die letzten zehn Jahre darstelle.(4)

    Drei Jahre seit dem „Programm von Thessaloniki“

    Hier ist daran zu erinnern, dass Tsipras im September vor drei Jahren auf derselben Messe als Vorsitzender der linkssozialistischen Sammlungspartei Syriza das legendäre „Programm von Thessaloniki“ verkündet hatte. Mit diesem Programm zog die Syriza in die Parlamentswahlen vom Januar 2015, die Tsipras zum ersten „linken“ Regierungschef Griechenlands machten.

    2014 war von ausländischen Direktinvestitionen nicht die Rede gewesen. Stattdessen hatte der Syriza-Chef der begeisterten Parteibasis nicht nur den sofortigen Ausstieg aus der Sparpolitik versprochen, sondern auch eine Wundertüte voller Wohltaten, die völlig irreal, weil nicht zu finanzieren waren. Ein hoch qualifizierter Ökonom, der Tsipras und der Syriza damals wohl gesonnen war, kritisierte dieses Programm mit den Worten: „Es verkündete Lohnerhöhungen, Subventionen, Sozialleistungen und Investitionen, die man aus Geldquellen finanzieren wollte, die entweder imaginär oder illegal waren.“ (5)

    Drei Jahre später konnte Tsipras als Regierungschef von sozialen Wohltaten – jenseits minimaler Hilfen für die Ärmsten der Armen – nur im Konjunktiv sprechen: Es sei nun einmal so, dass eine gerechtere Verteilung der Krisenlasten – und der vordringliche Abbau der Arbeitslosigkeit – einen Überschuss über den verabredeten Primärüberschuss des Staatshaushalts (von 3,5 Prozent) voraussetze. Der aber sei nur bei einem stabile Wirtschaftswachstums erreichen. Das wiederum sei unmöglich ohne Investitionen. Die könne man aber nur anziehen, wenn Griechenland nicht mehr als „Krisenland“ gesehen wird. Entscheidend sei daher der Ausstieg aus dem Sparprogramm, den seine Regierung im Sommer 2018 vollziehen werde. Deshalb sei dieser Schritt, so Tsipras, „von großer, ja ich wage zu sagen von revolutionären Bedeutung“.(6)

    Defensiver kann man das R-Wort kaum benutzen; und selten hat es derart bescheiden  geklungen. Die Differenz zwischen 2014 bis 2017 ist wahrhaft spektakulär. Die Wundertüte, die Tsipras heute präsentiert, enthält Investitionen aus dem Ausland. Aber es gibt keinen Grund, sich über diese Differenz zu mokieren. Sie entspricht nur der Fallhöhe zwischen dem Wahlprogramm einer linkssozialistischen Oppositionspartei und der bitteren Bilanz einer Regierung, die seit Januar 2015 den realen Machtverhältnissen in einem „deutschen Europa“ mit voller Wucht ausgesetzt war.

    Linksillusionäre Häme ist verfehlt

    Die Behandlung des griechischen Problemfalls durch die EU und die sogenannte Troika ist aus linker Sicht mit Recht zu kritisieren. Das gilt allerdings nicht für die Kritik an der heutigen Athener Regierung, die aus der linksillusionären Ecke kommt und der Syriza-Führung schmähliche „Kapitulation“ vorwirft oder gar die moralische Keule des „Verrats“ schwingt. Die Einwände, die manche „linke“ Kritiker – hierzulande wie in Griechenland – gegen die Politik ihrer ehemaligen Syriza-Genossen formulieren, sind häufig treffend. Sobald sie aber versuchen, ein eigenes Exit-Szenario aus den Troika-Memoranden vorzulegen, wird ihre zentrale Schwäche sofort offenbar: Trotz ihrer „internationalistischen“ Bekenntnisse versäumen sie es, das internationale Umfeld zu analysieren, in dem sich Griechenland und die Tsipras-Regierung bewegen. Und obwohl sie die globalen Finanzmärkte als Wurzel aller Übel ausmachen, schaffen sie es, deren Bedeutung und Einfluss auf ihren eigenen „Plan B“, also die Rückkehr zur Drachme, weitgehend zu ignorieren.(7)

    Die Syriza ist ja nicht die erste Partei, die als Regierungspartei nach dem ersten Kassensturz ihre Wahlversprechen kassieren musste. Der griechische Staat wurde seit der Rückkehr zu Post-Junta-Demokratie vor 43 Jahren fast durchweg von Regierungen besetzt, die in punkto Finanzen den Mund zu voll genommen hatten. „Das Geld ist da“, lautete der typische Slogan der Pasok noch bis zu ihrem letzten Wahlsieg vom Oktober 2009. Wenige Wochen später musste Regierungschef Giorgos Papandreou ein Haushaltsdefizit von über 15 Prozent nach Brüssel melden. Es war die „irrealpolitische“ Hinterlassenschaft der konservativen Karamanlis-Regierung, die seit 2004 viele Milliarden an Staatsgeldern ausgegeben hatte, die keineswegs „da waren“, sondern nur virtuell existierten.

    Investitionen aus dem Ausland: überfällig

    Es gibt Tatsachen, die keine griechische Regierung ignorieren kann. Zum Beispiel den sehr begrenzten fiskalischen Spielraum für soziale Reparaturen, über den ein verschuldetes Land ohne kräftige Wirtschaftsperspektiven verfügt  – was ganz unabhängig von den verfehlten und kontraproduktiven Sparprogrammen der Troika gilt. Ebenso unabweisbar ist auch die Notwendigkeit von Investitionen. Die aber können derzeit nur aus dem Ausland kommen, weil die griechischen Banken angesichts ihres extrem hohen Bestands an nicht rückzahlbaren Krediten (NPL) kaum noch riskieren, selbst gesunde griechische Unternehmen zu finanzieren.

    Dazu eine Nebenbemerkung: Dies ist der Grund, warum sich große und stabile einheimische Unternehmen inzwischen über den Anleihenmarkt finanzieren: Sie legen eigene Unternehmensanleihen auf, die den Käufern Zinserträge im Bereich von 3 bis 4,5 Prozent bieten. Angeboten werden solche Anleihen auf ganzseitigen Anzeigen in griechischen Tageszeitungen, und zwar von Großunternehmen wie dem Mytilinäos-Konzern, dem Raffinerie-Betreiber Motor Oil Hellas (MOH) oder Terna Energy, einen Spezialisten für Alternative Energien. Die Käufer sind griechische Kunden, die ihre Gelder aus dem Banksystem abgezogen haben und angesichts der herrschenden Kapitalkontrollen keiner griechischen Bank mehr anvertrauen wollen. Diese erfolgreichen Anleihen sind ein weiterer Schlag für die griechischen Finanzinstitute, weil sie wichtige Kunden verlieren, aber auch weil sie auf die Zinsmargen der Banken drücken.(8)

    Das Ausbleiben von FDI ist nicht nur eine Folge der Krise. Griechenland hat bei Investitionen aus dem Ausland einen hohen Nachholbedarf. Auf diesem Gebiet war das Land im europäischen Vergleich seit langem „unterentwickelt“, was zum Teil die notorische Exportschwäche der griechischen Volkswirtschaft erklärt. Darauf verweist der Ökonom Kostas Kalloniatis in der linken Tageszeitung Efimerida ton Syntakton (EfSyn) vom 11. September 2017.(9) Laut Eurostat-Zahlen lag Griechenland 2002, also kurz nach dem Beitritt zur Eurozone, bei den FDI mit 9,5 Prozent des BIP deutlich unter dem Durchschnitt der EU-Länder (15,2 Prozent des BIP). Dieser drastische Rückstand hat sich danach binnen zehn Jahren noch einmal verdoppelt: 2012 entsprachen die ausländischen Investitionen in Griechenland lediglich 10 Prozent des BIP, während sie im EU-Durchschnitt auf 30,2 Prozent des BIP angestiegen waren.

    Seit 2012 verlief die Entwicklung der ausländischen Investitionen schwankend. Insgesamt aber liegt Griechenland nach wie vor klar hinter den anderen „Krisenländern“ zurück. Unter den 20 europäischen Ländern, die im Jahr 2016 die meisten FDI anziehen konnten, ist Griechenland nicht vertreten, wohl aber Spanien, Portugal, Irland und auch Italien (Spanien liegt sogar an 4. Stelle). Im Vorderfeld liegen auch ehemalige Ostblock-Länder wie Polen, Tschechien, die Slowakei und Rumänen, die bei FDI-Projekten besonders hohe Steigerungsraten ausweisen (10) Die entscheidende Indexzahl (FDI als Prozentsatz des BIP) liegt gerade bei den kleineren EU-Ländern um vier bis acht Mal höher als im Fall Griechenland. Dasselbe Bild ergibt sich auf globaler Ebene: Der alljährlich vom World Economic Forum erstellte Global Competitiveness Report führt Griechenland in seiner neuesten Ausgabe (2017/2018) bei der Kategorie „FDI und technologischer Transfer“ lediglich auf Platz 112 (Kathimerini vom 27. September).

    Der griechische Nachholbedarf ist also enorm, und dies speziell gegenüber konkurrierenden Adressen für FDI-Zuflüsse. Das gilt selbst im Bereich Erneuerbaren Energie, in dem die Griechen theoretisch besonders attraktive Bedingungen (Sonne, Wind) zu bieten haben. Auch hier liegt das Land nach dem einschlägigen „Renewable Energy Attractiveness Index“ (RECAI) vom Oktober 2016 gegenüber fast allen anderen Mittelmeerstaaten im Hintertreffen. Nach diesem von Ernest & Young erstellten Rangliste finden sich unter den top-20 Länder wie Frankreich (8. Platz), Marokko (14.), Ägypten (16.) und die Türkei  (19,); aber auch Israel (26.) und Spanien (28.) liegen noch vor Griechenland (40. Platz).(11)

    Kapital ist segensreich, aber nicht immer

    Der zitierte Kostas Kalloniatis nennt mehrere Gründe, die ausländische Investitionen für Griechenland – jenseits der dringend benötigten Kapitalzuflüsse – zu einer Schlüsselgröße für die Wirtschaftsentwicklung machen: FDI ermutigen auch inländische Unternehmen zu Investitionen, sie bringen technische Innovationen, die auf die Industrie insgesamt ausstrahlen, sie lassen neue Produktionsnetzwerke entstehen und nicht zuletzt schaffen sie neue Exportverflechtungen, die der griechischen Handelsbilanz zu Gute kommen.

    Diese Argumente gelten allerdings nicht für jede FDI. Deshalb sollte die „Taskforce für Investitionen“, deren Gründung Tsipras in Thessaloniki verkündet hat, nicht nur die Aufgabe haben, „ausländische Investitionen auf allen Ebenen zu erleichtern“ – wie es Vize-Ministerpräsident Dragasakis formuliert hat (EfSyn vom 14. September). Sie sollte auch prüfen, wie erwünscht und förderungswürdig eine Investition ist, und zwar nicht nur nach wirtschaftlichen, sondern auch nach sozialen und politischen Kriterien. Dabei sind vor allem drei Fragen relevant.

    Zum einen die Frage nach der Rolle ausländischer Investoren bei der Privatisierung vormals staatlicher Unternehmen, in Bereichen also, die mit übergeordneten nationalen Interessen und hoheitlichen Funktionen verbunden sind.

    Zum zweiten die Frage der Diversifizierung, die mit der ersten zusammenhängt. Sie zielt auf die Herkunft der FDI-Zuflüsse, also auf die potentiellen Machtpositionen, die „strategische Investitionen“ den ausländischen Kapitalgebern verschaffen – bzw. anderen Staaten, wenn die Investoren staatliche oder staatlich kontrollierte Unternehmen sind.

    Drittens ist zu fragen, in welche Wirtschaftsbranchen die FDI gehen sollen, um nachhaltiges Wachstum zu fördern und vor allem Arbeitsplätze zu schaffen. Das wird vor allem dann der Fall sein, wenn in Branchen mit hoher Wertschöpfung investiert wird.

    Privatisierungen als Vehikel von Investitionen?

    Dass die Syriza-Regierung ein aktives Interesse an Privatisierungen entwickelt hat, resultiert zweifellos aus dem Bedarf an verstärkten FDI-Zuflüssen. Dabei war die frühere Opposition der Oppositionspartei Syriza gegen jegliche Privatisierung durch eine „linksradikale“ Verkennung der griechischen Realität geprägt. Der breit ausgewalzte „öffentliche Sektor“, den konservative Regierungen erst zu voller Blüte gebracht hatten, war keineswegs Vorbote oder gar „Keimzelle“ einer sozialistischen Gesellschaft. Viele öffentliche Unternehmen – und große Teile des staatlichen Immobilienbesitzes – dienten jahrzehntelang als Vehikel zum Machterhalt der jeweiligen Regierung: mittels Vergabe von Stellen im öffentlichen Dienst oder von günstigen Miet- und Pachtverträgen an die eigene Klientel.(12)

    Die Verdammung jeglicher Privatisierung durch die frühere Syriza hat am konsequentesten der schon zitierte Yanis Varoufakis kritisiert. Als Finanzminister der ersten Regierung Tsipras wollte er ausländische Investitionen in Infrastrukturen wie Häfen und Flughäfen, die der griechische Staat nicht finanzieren kann, „energisch vorantreiben“. Allerdings nur unter vier Bedingungen: verbindliche Zusage ausreichender Investitionen; Respektierung der Rechte und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten; Einhaltung von Umweltstandards; absehbar positive Effekte für die lokale Ökonomie, insbesondere für Klein- und Mittelbetriebe.(13)

    Varoufakis und die Chinesen

    Varoufakis war von Anfang auch ein Befürworter des chinesischen Engagements im Hafen von Piräus, einschließlich der langfristigen Verpachtung des gesamten Hafens an das chinesische Staatsunternehmen Cosco. (14) Im Prinzip wollte der erste Finanzminister der Tsipras-Regierung auch den staatlichen Eisenbahn-Betreiber TrainOSE an die Chinesen verkaufen. Sein Argument: das „antiquierte, dysfunktionale und Verluste schreibende Eisenbahnsystem“ erfordere „massive Investitionen, die die griechischen Volkswirtschaft nicht aufbringen konnte, und die französische und deutsche Unternehmern nicht aufbringen wollten“.(15)

    Beim Verkauf von TrainOSE haben die Chinesen am Ende nicht mitgeboten, obwohl sie weiter nördlich in Bahn-Infrastruktur investieren: in die Highspeed-Verbindung zwischen Belgrad und Budapest. Diese Strecke ist zugleich die „Verlängerung“ der Bahnfrachtverbindung Piräus-Belgrad in Richtung Zentralosteuropa. Peking hat das Desinteresse an TrainOSE nie begründet; möglicherweise hat die wochenlange Blockierung der Gleise an der griechisch-mazedonischen Grenze bei Idomeni durch demonstrierende Flüchtlinge im Frühjahr 2016 abschreckend gewirkt.

    Griechische Eisenbahn wird zum italienischen Staatsunternehmen

    Inzwischen ging der Personen- und Frachtbetrieb von TrainOSE an die italienischen Staatsbahn Ferrovie dello Stato Italiane (FSI), die 100 Prozent des Unternehmens zum Preis von 45 Millionen Euro erwarb. FSI war wie bei den meisten griechischen Privatisierungen der einzige Bieter. Der Kauf von TrainOSE sieht deshalb auf den ersten Blick wie ein Schnäppchen aus. Aber das ist eine optische Täuschung. FSI blieb als Bieter allein, weil kein anderes Unternehmen die Übernahme des griechischen Personen- und Frachtverkehrs für profitabel hielt. Zwei frühere Anläufe scheiterten, weil die Altschulden von TrainOSE für die Interessenten undurchschaubar waren. Voraussetzung für den Zugriff der FSI war deshalb die Streichung der Verbindlichkeiten gegenüber dem staatlichen Mutterunternehmen OSE. Auch die öffentlichen Subventionen für unprofitable Nebenstrecken – in Höhe von 50 Millionen Euro jährlich – wird die FSI mindestens fünf Jahre lang weiter beziehen.

    Die Abschreibung der Schulden zu Lasten des griechischen Haushalts wird von Kritikern als Beleg für den „Ausverkauf“ staatlicher Aktiva gesehen.(17) Dabei wird erstens übersehen, dass das Unternehmen mit einer Schuldenbelastung von knapp 700 Millionen Euro unverkäuflich gewesen wäre. Und zweitens, dass die Modernisierung des Bahnbetriebs Investitionen erfordert, die der griechische Staat schlicht nicht aufbringen kann.(18) Die Italiener haben bei der Übernahme von TrainOSE 500 Millionen Euro an Investitionen zugesagt, allerdings nicht in vertraglicher Form. Das Geld soll vorwiegend in den Ausbau der Frachtkapizitäten fließen, während die Sparte Personenverkehr gegen die billigere Konkurrenz der Fernbusse kaum Zuwachsraten erzielen wird.

    Der Einstieg der FSI wurde am 14. September mit einem großen Festakt in Kerkyra (Korfu) in Anwesenheit der beiden Regierungschefs Gentiloni und Tsipras besiegelt. Aus diesem Anlass traten wichtige Minister beider Regierungen erstmal zu dem neu gebildeten „Hohen Gemeinsamen Rat für griechisch-italienische Kooperation“ zusammen, der bilaterale unternehmerische und Entwicklungsprojekte vorantreiben soll.

    Der französische Freund will Rüstungsaufträge

    Die Athener Regierung will auch andere Partnerländer mit Investitionspotenzial gezielt umwerben. Besonders hohe Erwartungen hat man dabei an Frankreich. Noch vor der Messe von Thessaloniki hatte Tsipras seinen neu entdeckten Freund Emmanuel Macron nach Athen eingeladen.(19) Der hielt als Gastgeschenk nicht nur eine Rede – vor der Originalkulisse der Akropolis – , in der er die „Neubegründung Europas“ vorschlug, sondern auch die Versicherung, dass Griechenland untrennbar zu Europa gehöre. So erklärte Macron in einem Interview mit der Kathimerini (vom 7. September), ein Grexit würde den Beginn des Endes der Eurozon bedeuten.

    Um das französische Interesse an Investitionen in Griechenland zu unterstreichen, hatte Macron eine starke Wirtschaftsdelegation mitgebracht. Zusammen mit Tsipras beschwor er vor griechischen und französischen Unternehmern „neue Energien und eine neue Dynamik für Investitionen in Griechenland“.(Kathimerini vom 8. September) Bei dieser Konferenz artikulierten die französischen Unternehmer ihr Interesse an diversen Projekten. Der Energieriese Total will sich bei Erdölprospektionen im Ioanischen Meer (westlich der Peleponnes) und im Süden von Kreta engagieren, aber auch im Bereich Erneuerbare Energien.(20) Der Bauriese Vinci zeigt Interesse an der Maut-Lizenz für die Egnatia-Autobahn (A2), die gerade fertiggestellte West-Ost-Achse im Norden Griechenlands. Auch bei der Ausschreibung der Athener U-Bahn-Linie 4 – mit einem Auftragsvolumen von 1,45 Milliarden Euro das derzeit größte aktuelle Infrastrukturprojekt innerhalb der EU – bewirbt sich Vinci in einem Konsortium mit Siemens.(21)

    Bei diesem französischen Engagement fällt auf, dass es vornehmlich staatlich finanzierten bzw. EU-subventionierten Projekten gilt, die in der Vergangenheit stets für legendäre Renditen gut waren. Sehr deutlich hat Macron auch – wie alle seiner Vorgänger – das französische Interesse an Rüstungsaufträgen artikuliert. In einem Interview mit der Kathimerini (vom 7. September 2017) erinnerte er an die engen militärischen Beziehungen beider Länder speziell bei der Luftwaffe (Mirage) und der Marine. Im Sinne dieser Tradition erwartet Macron heute von Griechenland den „Willen zur vollen Beteiligung an einem Europa der Verteidigung“. Im Klartext forderte er von Athen „die Entscheidung für Waffensysteme, die geeignet ist, eine wirklich europäische Industriebasis auf dem Gebiet der Rüstung zu unterstützen“.

    Europa, China und der Hafen von Thessaloniki

    Macrons Betonung der ökonomischen Dimension Europas hat eine weitere Facette, die für Athen problematisch ist. Der Präsident forderte mehr europäische Investitionen in Griechenland mit dem Argument, sonst würde Athen verstärkt zu „nicht-europäischen Investitionen gedrängt“. Das zielte natürlich auf die Chinesen, die nicht nur den Hafen von Piräus betreiben, sondern auch am größten Immobilien-Projekt, dem geplanten Luxusquartier auf dem ehemaligen Flughafen Ellinikon an der Küste der „attischen Riviera“ beteiligt sind.

    Tsipras versuchte seinen Freund Macron zu beruhigen, indem er das französischen Engagement im Hafen von Thessaloniki würdigte. An dem Konsortium, das für 232 Millionen Euro 67 Prozent der Hafengesellschaft OLTh (in Pacht bis zum Jahr 2051) übernommen hat, hält das französische Unternehmen Terminal Link (eine Tochter des Marseiller Schiffahrts- und Logistik-Konzerns CMA CGM) 33 Prozent der Anteile. 50 Prozent übernimmt die Münchener Investmentfirma Deutsche Invest Equity Partners, mit 27 Prozent ist der griechisch-russische Investor Ivan Savvidis.(22). Aber die Franzosen werden das Management des Hafens übernehmen, der als Umschlagplatz für die gesamte Balkanregion ein großes Ausbaupotential hat. Der neue Hafenbetreiber will in den nächsten sieben Jahren 180 Millionen Euro investieren.

    Eine strategische Partnerschaft mit China

    Dass die Griechen ihren zweitgrößten Hafen an europäische Partner verpachten, ist gewiss ein Signal. Aber das ändert nichts an der großen Bedeutung, die man in Athen der „strategischen Partnerschaft“ mit China beimisst, und zwar parteiübergreifend. Die ersten Investitionen hat schon die ND-Regierung Karamanlis angekurbelt, als sie 2008 die Übernahme des Containerhafens von Piräus durch die Staatsfirma Cosco unterschrieb. Die nachfolgende Regierung Papandreou (Pasok) drängte Cosco zu weiteren logistischen Investitionen. Am weitesten ging Tsipras konservativer Vorgänger Samaras (ND), der Peking sogar anbot, chinesische Handels- und Kriegsschiffe in griechischen Werften warten zu lassen.(23)

    Die Regierung Tsipras war zunächst zögerlich. Erst seit ihrer Wiederwahl im September 2015 ist sie auf einen „nationalen Konsens“ eingeschwenkt, der die gesamte politische Klasse umfasst und auf der Einschätzung basiert, dass Griechenland seine geopolitische Lage am Schnittpunkt dreier Kontinente besser nutzen müsse.(24)

    Drei Tage nach dem Macron-Besuch begrüßte Tsipras auf der Thessaloniki-Messe eine große Delegation aus Peking, lobte die „Schlüsselrolle“ Chinas bei der „Bewältigung“ der griechischen Schuldenkrise und verkündete, sein Land werde sich dank der Kooperation mit China und der chinesischen Investitionen zu einem  Hub (Knotenpunkt) „für  internationale Transportwege, Handelsströme und Energie-Trassen“ entwickeln. Schon Mitte Mai war Tsipras zu der gigantischen Gipfelkonferenz in Peking angereist, die den offiziellen Beginn der „Neue Seidenstraße“ markierte. Dieses „Jahrhundertprojekt“ ist ein riesiges Infrastrukturprogramm, das einen ganzes Netz von Wirtschaftskorridoren schaffen soll, die China mit den Märkten in Asien, Europa und Afrika verbinden.(25)

    Der Hafen von Piräus ist einer der wichtigsten Terminals des maritimen Zweigs der „Neuen Seidenstraße“, über den chinesische Waren auf die Märkte Südost- und Mitteleuropas gelangen sollen. Aber es wäre für Athen eine gefährliche Illusion, allein auf die chinesische Karte zu setzen. Denn die Chinesen sind schon dabei, ihre Optionen zu diversifizieren. Bereits die Bahnprojekte, die das Kernstück der „Neuen Seidenstraße“ ausmachen, sind für den Seetransport eine potentielle Konkurrenz. Und mit der „Seidenstraße des Eises“ wird sich künftig entlang der russischen Nordküste eine weitaus kürzere Seeroute anbieten.(26) Diese billigere Alternative – eine Nebenfolge der globalen Klimaerwärmung – wird sich nicht schon morgen rechnen. Aber die Chinesen verfügen bereits heute über den Ausgangspunkt einer alternativen Balkan-Route: Cosco ist auch am drittgrößten türkischen Container-Terminal – Kumport bei Istanbul beteiligt.(27)

    Investitionen haben einen politischen Preis

    Die Regierung Tsipras ist offensichtlich bereit, für das strategische Engagement Chinas in Griechenland einen „politischen“ Preis zu entrichten. Am 15. Juni dieses Jahres blockierte Athen  – kurz nach der Rückkehr von Tsipras aus Peking – eine gemeinsame Stellungnahme der EU-Länder beim Genfer UN-Menschenrechtsrat, die China wegen der Verfolgung von Menschenrechtlern und Journalisten kritisierte. Die Griechen erklärten, eine solche Kritik an Peking sei „nicht konstruktiv“ und blockierten die EU-Stellungnahme, die nur einstimmig beschlossen werden konnte. Diese Haltung wurde von Amnesty International und anderen NGOs kritisiert. Offiziell wurde in Athen bestritten, dass das griechische Veto ein politische Gegenleistung für chinesische Investitionen darstelle. Der Syriza-Politiker Kostas Douzinas erklärte jedoch ganz offen: „Wenn du am Ende bist und jemand schlägt dich und jemand anders gibt dir einen Almosen, wem wirst du dann helfen, wenn du dich revanchieren kannst: dem der dir geholfen, oder dem der dich geschlagen hat.“ (28)

    Ausländische Investitionen sind bekanntlich nie uneigennützig, sie sollen vor allem Gewinne für den Investor erzielen. Das gilt für Unternehmen aus Frankreich, Italien und Deutschland ebenso wie für chinesische Staatskonzerne. Und nicht nur China verfolgt mit seiner Griechenland-Politik sehr eigene Ziele wirtschaftlicher wie politischer Art. Dies tun zum Beispiel auch die USA, die sich auffällig stark für den „Energie-Hub“ Griechenland stark machen. Am 9. September erklärte der US-Botschafter in Athen auf einem Energieforum in Alexandroupolis, Washington unterstütze alle Schritte, die der Balkanregion eine sichere Energieversorgung aus nicht-russischen Quellen garantieren. Aber ein Projekt war  Botschafter Pyatt besonders wichtig: der Ausbau des Flüssiggas-Terminals Revythousa in der Nähe von Athen. Als Folge der „Schiefergas-Revolution“ ist für die USA die Vermarktung von Flüssiggas (LNG) in Europa zum strategischen Ziel der Energiepolitik geworden, das in der Ära Trump noch entschiedener verfolgt wird (siehe Kathimerini vom 9. September 2017). Dabei ist Flüssiggas das Letzte, was Griechenland braucht, das auf Erdgas-Importe aus dem kaspischen Raum (29) und auf Erneuerbare Energien setzt.

    Investitionen in welche Branchen?

    Was der Zufluss von ausländischem Kapital für die wirtschaftliche Erholung Griechenlands bewirken kann, hängt vor allem von den Zielbranchen ab. Investitionen können im Idealfall den einheimischen Kapitalmangel kompensieren, technisches know-how transferieren und die Exporte stimulieren. Vor allem sollen sie neue Wertschöpfungsketten schaffen, denn nur so werden dauerhafte Arbeitsplätze geschaffen – was für eine Regierung mit linken Anspruch besonders wichtig ist. Dieser letzten Anforderung wird eine Erholung der griechischen Wirtschaft nicht gerecht, die vor allem von der Tourismusbranche und einem durch touristische Investitionen ausgelösten Bauboom getragen wird.

    In Thessaloniki hat Tsipras als Erfolg gefeiert, dass die Arbeitslosenquote seit dem Scheitelpunkt der Krise um fast 6 Prozentpunkte (von 27 auf 21,2 Prozent) zurückgegangen ist.(30) Dabei verwies er stolz auf die 263 000 neuen Arbeitsplätze, die seit Anfang 2017 neu entstanden sind. Aber zugleich hat der Anteil von nicht dauerhaften und Teilzeitjobs ständig zugenommen. Gerade im Tourismus sind prekäre Jobs inzwischen häufiger als Vollzeitarbeitsplätze – ganz zu schweigen vom wachsenden Trend zu Schwarzarbeit.

    Die Regierung Tsipras zielt deshalb vornehmlich auf Investitionen, die Arbeitsplätze im industriellen Bereich und im verarbeitenden Gewerbe schaffen und zugleich Innovationen und die Qualifizierung einheimischer Arbeitskräfte fördern. Voraussetzung dafür sind allerdings tiefgreifende Reformen. In diesem Sinne propagierte Tsipras in Thessaloniki ein „neues, von den Krankheiten der Vergangenheit befreites Produktionsmodell“. Nur so könne die Ära der Sparprogramme und der Troika tatsächlich beendet werden.

    Nichts geht ohne Reformen

    Geradezu beschwörend richtete er an die Kapitalvertreter im Publikum – wie auch an die griechischen Wähler und seine eigene Partei – die „große Frage“, wie der Rückfall in das „Griechenland des Bankrotts“ zu vermeiden sei: „Es kann ja wohl nicht darum gehen, der Aufsicht (durch die Gläubiger) zu entkommen, nur um dann wieder dieselben Fehler zu machen, die uns dieser Aufsicht unterworfen haben. Nämlich die alte Politik fortzusetzen, die Politik des Fake-Wohlstands, des Klientelstaats, der Korruption und der Vetternwirtschaft.“ Deshalb sei jetzt die gemeinsame Hauptaufgabe, Strukturen zu schaffen und politische Entscheidungen zu treffen, die den Rückfall in diese Vergangenheit verhindern.

    Große Worte, ein großartiges Programm, das eine große Mehrheit der Griechen sofort unterschreiben würde. Allein ihnen fehlt der Glaube. Nach einer Umfrage von Anfang September trauen die Wähler der Tsipras-Regierung die Bekämpfung der Korruption zwar eher zu als einer ND-Regierung (30 gegenüber knapp 20 Prozent), aber 45 Prozent der Befragten traut in dieser Hinsicht „keinen von beiden“.(31)

    Die Begriffe Korruption und Vetternwirtschaft werden in Griechenland vor allem mit dem öffentlichen Sektor assoziiert. Gerade auf diesem Gebiet steht die Regierung Tsipras in den nächsten Monaten vor einer großen Bewährungsprobe. Bei den Verhandlungen mit den Gläubigern, die bereits wieder begonnen haben, ist einer der wichtigsten Punkte die Evaluierung der Leistungen und der Schwächen des öffentlichen Dienstes. Der Abschluss dieses Prozesses war schon für Ende Juni 2017 vorgesehen, hier muss die Regierung also endlich liefern. Dabei droht ein ernster Konflikt mit der Gewerkschaft der öffentlichen Bediensteten (ADEDY), die den gesamten Evaluierungsprozess ablehnt und ihn bislang erfolgreich boykottiert hat.

    Es ist nicht das einzige Problem, das die Regierung Tsipras zu lösen hat, wenn sie bis August 2018 ihr erklärtes Ziel des „Ausstiegs aus dem Memorandum“ erreichen will. Sie muss einen Haushalt für 2018 vorlegen, der erstmals einen Primärüberschuss von 3,5 ausweist. Und sie muss schon in den nächsten Monaten demonstrieren, dass sie griechische Staatsanleihen zu tragbaren Bedingungen auf den Finanzmärkten platzieren kann.(32) Diese Herausforderungen und die politischen Gefahren, die sich daraus für die Regierung ergeben, werde ich in einem zweiten Teil dieser Analyse untersuchen.

    29. September 2017

     

    Anmerkungen

    1) Siehe dazu die letzte Analyse auf diesem Blog vom 29. Juni 2017.

    2) Stelios Kouloglou, zitiert nach Kathimerini vom 18. September. Ganz ähnlich argumentierte der  Leitartikel der Syriza-kritischen Zeitung To Vima vom 26. September.

    3) Siehe den Bericht des Athener Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung: www.ipg-journal.de/regionen/global/artikel/detail/oh-la-la-ze-germans-2313/

    4) Für das 1. Halbjahr 2017 meldete Wirtschaftsminister Dimitris Papadimitriou sogar FDI in Höhe von 2 Milliarden Euro, siehe Efimerida ton Syntakton (EfSyn) vom 11. September 2017.

    5) Yanis Varoufakis in seiner detailreichen und sprachgewaltigen Abrechnung mit dem „europäischen Establishment“ und seinen Syriza-Genossen: „Adults in the Room: My Battle with Europe’s Deep Establishment, London (The Bodley Head), 2017, S. 88. Die deutsche Ausgabe dieser außergewöhnlichen „Memoiren“ erscheint Mitte Oktober im Verlag Antje Kunstmann unter dem Titel: „Die ganze Geschichte“.

    6) Alle Zitate aus der Tsipras-Rede sind übersetzt von der offiziellen Website des Regierungschefs (https://primeminister.gr/2017/09/11/18088). Der Text ist nur auf griechisch dokumentiert, die letzte englische Übersetzung einer Tsipras-Rede datiert vom Oktober 2015.

    7) Ein anschauliches Beispiel bietet der LAE-Vorsitzende Lafazanis in einem Interview mit Ta Nea vom 27. Mai 2017. Lafazanis propagiert die Rückkehr zur Drachme und den Austritt aus der EU als Allheilmittel für alle griechischen Gebrechen: „Eine nationale Währung bedeutet die Schaffung von Hunderttausenden Arbeitsplätzen“, und zwar durch „einen Investitionsschock, der eine gewaltige Welle günstiger, produktiver Geldzuflüsse in die griechische Wirtschaft auslösen kann“. Woher diese Zuflüsse kommen sollen, bleibt völlig schleierhaft. In einer Programmrede vom 12. September in Thessaloniki deutet Lafazanis an, die nationalisierten Banken würden einen „Strom von Liquidität zu niedrigen Zinsen“ freisetzen und so den „produktiven Wiederaufbau“ finanzieren (Zitat nach EfSyn vom 12. September 2017, die vollständige Rede unter: http://www.efsyn.gr/sites/efsyn.gr/files/wysiwyg/2017-09/lafazanis.pdf). Was dies für die Stabilität der „neuen Drachme“ bedeutet, bleibt ebenso unbeantwortet wie die zentrale Frage, wo die harten Devisen herkommen sollen, mit denen die griechischen Importe – samt den technischen inputs für den „produktiven Wiederaufbau“ – finanziert werden müssen.

    8) Eine Analyse dieser Problematik in Kathimerini vom 2. Juli 2017.

    9) Dieser Analyse sind auch die folgenden Zahlen entnommen.

    10) Angaben nach dem European Investment Monitor (EIM) für 2016; erstellt von Ernest & Young (www.ey.com/Publication/vwLUAssets/ey-attractiveness-europe-2017/$FILE/ey-attractiveness-europe-2017.pdf)

    11) Siehe EY BaroMed 2017 unter: www.ey.com/Publication/vwLUAssets/ey-baromed-2017/$FILE/ey-baromed-2017.pdf

    12) Siehe dazu meinen Blog-Artikel vom 9. März 2016; eine Kurzfassung dieses Textes erschien in Le Monde diplomatique vom März 2016.

    13) Varoufakis, „Adults in the Room“ (Anm.5), S. 196)

    14) Allerdings hielt sich Cosco nicht an alle Varoufakis-Kriterien, zum Beispiel wurden festangestellte Arbeitskräfte durch Kontraktarbeiter mit reduzierten Löhnen ersetzt.

    15) a.a.O., S. 313 ff. Varoufakis verfolgte mit seinem Angebot an die Chinesen, das auch eine steuerbegünstigte Industriezone in Piräus umfasste, noch ein anderes Ziel: Peking sollte auch für 1,5 Millionen Euro griechische T-Bonds kaufen, um der Regierung Tsipras im Frühjahr 2015 aus ihrer klammen finanziellen Lage zu befreien. Die Chinesen sagten zu, doch am Ende wurde der Plan laut Varoufakis durch „eine unverblümte Botschaft“ aus Berlin zunichte gemacht.(a.a.O. S. 321)

    16) Die OSE und ihre Tochterfirmen waren für den griechischen Staat bis 2013 ein gigantischer Zuschussbetrieb, der insgesamt mehr als 14 Milliarden Euro verschlungen hat. Siehe den Bericht der EU-Kommission vom 16. Juni 2017: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-1661_en.htm

    17) So im Griechenland-Blog vom 16. September 2017.

    18) Zusätzlich muss viel Geld in die Sicherheit des Zugverkehrs gesteckt werden, weil TrainOSE eine katastrophale Unfallstatistik hat; ein Bericht über das letzte Zugunglück vor vier Monaten ( EfSyn vom 20. Mai und Kathimerini vom 27. Mai 2017).

    19) Tsipras und die Syriza haben Macron im zweiten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen offen gegen die FN-Kandidatin Le Pen unterstützt, im Gegensatz zu einem Großteil der französischen Linken.

    20) Kurz nach dem Macron-Besuch in Athen ist Total bei dem griechischen Unternehmen Eren Renewable Energy S.A. mit einer Kapitalbeteiligung von 23 Prozent eingestiegen (Kathimerini vom 20. September 2017).

    21) Und das in unzeitgemäß anmutender Konkurrenz mit dem französischen Alstom-Konzern, der einem griechisch-italienisch-französischen Konsortium angehört. Siemens und Alstom stehen inzwischen kurz vor einer Fusion ihrer Unternehmen im Bereich Schienenverkehr.

    22) Savvidis ist Besitzer des populärsten Fußballklubs von Thessaloniki (PAOK) und steht der Syriza nahe;  seit einiger Zeit ist er dabei, ein Medienimperium aufzubauen, siehe auf diesem Blog: Herbstlese (3. Teil) vom 14. Oktober 2016.

    23) Siehe meine Analyse vom 18. Juli 2014 auf den NachdenkSeiten.

    24) Siehe die Botschaft von Staatspräsident Pavlopoulos, der aus der ND hervorgegangen ist, an die chinesische Führung, in: China Daily vom 8. Mai 2017.

    25) Siehe dazu die Texte „Kein Weg vorbei an Kasachstan“ von Arthur Fouchère und „Russische Optionen“ von Florent Detroy in LMd vom September 2017 sowie „Die Neuen Seidenstraße“ von Sebastian Heilmann und Jan Gasbers in LMd vom Juni 2017.

    26) Siehe insbesondere: Florent Detroy, „Russische Optionen“, LMd September 2017.

    27) Die chinesischen Ambitionen reichen noch weiter: Cosco hat im Frühjahr 2017 einen Anteil von 35 Prozent am Euromax-Container-Terminals in Rotterdam erworben.

    28) New York Times vom 26. August 2017. Der Völkerrechtler Douzinas ist Mitglied des griechischen Parlaments und Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses.

    29) Diesem Ziel dienen die Trans-Adria-Pipeline (TAP) durch Griechenland und das IGB-Projekt, eine Gas-Pipeline nach Bulgarien.

    30) Der Rückgang ergibt sich auch aus der Abwanderung vieler junger Griechen ins Ausland; dieser Faktor erklärt großenteils auch die um 10 Prozentpunkte gesunkene Arbeitslosenquote in der Altersgruppe von 15 bis 24 Jahren.

    31) Ergebnisse der Umfrage unter: www.commonview.gr/?page_id=491

    32) Der Kurs der griechischen Bonds hat sich seit der „Testemission“ einer 5-Jahres-Anleihe am 24. Juli praktisch nicht verändert. Daraus zieht der erfahrene Wirtschaftsbeobachter Kostas Kallitsis den Schluss: „Heute, zwei Monate danach, könnte das Land nicht… auf die Märkte zurückkehren und Kredite zu tragbaren Zinsen aufnehmen.“ (Kathimerini vom 24. September 2017)

    Quelle: https://monde-diplomatique.de/shop_content.php?coID=100104

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